Dekolonisierung von Musik: Weg mit den pastoralen Idyllen (2025)

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Dekolonisierung von Musik: Weg mit den pastoralen Idyllen

Kolumne Sound der Stadt

von Philipp Rhensius

Während die Welt auf Pause gestellt ist, wacht der europäische Musikdiskurs auf – und hinterfragt das eigene koloniale Erbe.

D as Leben ist derzeit wie ein JG Ballard-Roman. Es findet im Inneren statt im Äußeren statt. Das ist anstrengend, aber eine gute Voraussetzung für ausgiebiges Nachdenken. Nicht nur über das das Innen, also das Ich, sondern vor allem das Außen, also die Kräfte, die ständig auf es einwirken, auseinandernehmen oder gar kaputt machen.

Oft ist nicht hilfreich, das Ich dann einfach wieder neu zusammensetzen im Geiste irgendeines Ordnungsideals. Es ist viel besser, den Defekt nicht zu verbergen. Bruchstellen können hilfreiche Mahnmale sein in einer Welt, in der Ordnungsliebe zu Machtmissbrauch, Pedanterie, oder Rassismus führt.

Um derartiges geht es am Samstag beim Launch der neuen Ausgabe des Archive Book-Magazins „Beyond Repair“. In Sound- und Musikperformances, DJ-Sets und Lesungen von u.a. Natascha Sadr Haghighian, post-Duo und Chiara Figone werden die Überwindung des Reparations-Narrativs verhandelt, aber auch neue Formen der Sebstorganisation und des Widerstands.

Verlernt und ganz neu gedacht werden muss dringend auch der Musik-Diskurs. Dass Musik im euro-amerikanischen Raum jahrelang unbeschwert als pastorale Idylle verkauft werden konnte, lag auch an der Kaschierung der kolonialen, weißgewaschenen Strukturen, die allen Genres bis heute innewohnen.

Die Konzerte

„Beyond Repair“: 24. 10., Reinickendorfer Straße 17, ab 19 Uhr

„Dice Festival“: 30. 10., Taborkirche, ab 16 Uhr

„Decolonizing Classical Musics?“:25. 10., Radialsystem, ab 13 Uhr

„Savvyzaar Radio“: 25. 10., 17 Uhr www.savvy-contemporary.com

„Kiezsalon“: 28. 10., Musikbrauerei, ab 19 Uhr

„Crys Cole & John Chantler“: KM 28, 29. 10, 19 Uhr

tazplan

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

Wie klingt dekolonisierte Klassik?

Dass Techno im Club derzeit weitgehend auf Pause gestellt ist, ist eine gute Möglichkeit, ihn als oft affektlose kommodofizierte Aneignung einer einst Schwarzen Musik zu entlarven. Wie sich die eigenen Privilegien und kulturellen Wurzeln hingegen respektvoll in Beziehung setzen lassen, zeigt etwa die Hamburger Musikerin Rosaceae aka Leyla Yenirce. Sie verschaltet harsche, elektroakustische Sounds mit Stimmen des politischen Widerstands und kurdischer Hochzeitsmusik.

Sie wird auf dem Berliner Dice Festival neben Lotic spielen, deren atonale Breakbeats und dialektische Klangwelten emanzipatorisches Potential für marginalisierte und alle anderen Körper evozieren, die sich die Räume, zu denen sie passen, erst noch schaffen müssen.

In perfekt passenden, also bruchstellenlosen Orte hat sich bis heute weitestehend auch die Klassische Musik eingerichtet. Themen wie kulturelle Aneignunsprozesse werden dort immer noch fast gar nicht verhandelt, obwohl sich bereits Komponisten wie Beethoven oder Debussy bei außereuropäischen Musiken bedienten.

Wie eine zeitgemäße, dekolonisierte Klassik aussehen könnte, die transtradtionell denkt, wird am Sonntag beim Symposium „Decolonizing Classical Musics?“ diskutiert. Zu Gast sind etwa die stets multimedial arbeitende Komponistin Brigitta Muntendorf, der Komponist und Medienkünstler Sandeep Bhagwati und der Musikwissenschaftler Kofi Agawu.

Neuverhandlung von Innen und Außen

Wer danach noch Energie hat, kann am Nachmittag Uhr bei Savvyzaar einschalten, dem Radio des Kunstraums Savvy Contemporary, der übrigens eine sehr gute Adresse für einen nachhaltigen Dekolonisierungs-Diskurs ist. In der Sendung „Sound as Divinity“ erzählt der mexikanische Komponist Luis Perez Ixoneztli von Musikinstrumenten, die in alten atztekischen Gräbern gefunden wurden und heutigen Musiker*innen neue musikalische Sprachen ermöglichen.

Mit neuen Sounds arbeitet die Musikerin Lucrecia Dalt seit jeher. In ihren vertrackten Stücken, die synthetische Klänge mit der eigenen Stimme verweben, entstehen teils psychedelische, teils hyperrealistische Welten. Beim Kiezsalon treffen sie auf den ironischen Synthiepop der Musikerin Agata Melnikova aka Signal Libra die in ihren schrillen Videos die Musikinstrumente nie wirklich bedient, sondern immer nur streichelt.

Intime Beziehungen zu ihren Tools pflegen auch John Chantler und Crys Cole. Sie performen jeweils solo im Neuköllner KM28 am Donnerstag im Neuköllner KM 28 performen. Während Chantler mit seinen Synthesizern und anderen Geräten unvorhergesehene Klänge erzeugt, entlockt Cole vermeintlichen Alltagsgegenständen außeralltägliche sonische Geschichten.

Die derzeitige Chance, das Innen und Außen neu zu verhandeln, ist also längst nicht nur auf Menschen beschränkt.

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Philipp Rhensius

Philipp Rhensius ist Autor, Soziologe, Journalist, Musiker und Editor von Norient. Seine Arbeiten sind angetrieben von der Idee, dass das Fühlen der Ketten der erste Schritt zur Emanzipation ist. Seit Herbst 2024 schreibt er die taz-Kolumne "Was macht mich" - mal poetisch, mal politisch, mal wtf!?

Themen#Sound der Stadt#taz Plan#Postkolonialismus#Critical Whiteness#Techno#Klassik#Beethoven-Jahr 2020

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2 Kommentare

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  • 0G

    02881 (Profil gelöscht)

    "Dass Musik im euro-amerikanischen Raum jahrelang unbeschwert als pastorale Idylle verkauft werden konnte, lag auch an der Kaschierung der kolonialen, weißgewaschenen Strukturen, die allen Genres bis heute innewohnen."

    Was meinen Sie damit? Musik (-Industrie/Business/Szene?) als "pastorale Idylle" im "euro-amerikanischen Raum"? Ich bitte Sie, so eine verklärte Haltung haben bestenfalls Frauenzeitschriften vom Schlage "Brigitte". Aber wer sonst noch?

    By the way: Musik ist und war stets ein Prozess kultureller Aneignung und Austauschs. Und das schon lange vor Debussy. Der Kolonialismus hat diese Prozesse befördert und forciert, ohne Frage. Und das sollte unbedingt analsiert werden... Dazu brauchts aber auch Sachverstand und ein Eindringen in die Materie.

    • Lowandorder

      @02881 (Profil gelöscht):

      anschließe mich.

      unterm—— für Ahnungslose —

      Mein türkischer Regisseur - Dambuka unter der Achsel - spielte verschmitzt ein sehr türkisches Lied/Stück.

      & klar Griechen dissen -

      “Willst du‘s mal auf griechisch hören?!“

      & Däh - du hörtest die Taktstriche !! 😱 -

      “Aber eigentlich ist es ja ein persisches Lied!“

      & Däh - schwerelos wie ein fliegender Teppich

      “Naja - aber ganz eigentlich kommt es - wie das meiste - aus 🇮🇳!

      Und hattest nur noch einen flirrenden gelassen fließenden Strom in dem du mitschwammst - 🤫 -

      Soll mal reichen.

      (Zu afrikanisch kubanisch ein andermal

      ps Die Ahnungslosigkeit der tazis im musikalischen Bereich - steht der gern in den übrigen Bereichen gepflegten -selten nach.)

      Alles zwischen Kopfschütteln - Griemeln

      & - 😂 - & sodele - thnx a lot for assist &

      Scheunen 🌧 Restsündach

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